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Buße tun, oder doch lieber eine Psychotherapie machen?

istockPsychotherapie oder BußePsychotherapie oder Buße

Von Uwe Minde, Diplompsychologe und Psychotherapeut

Achtsamkeit, Meditation, Gewahrsein sind Begriffe der modernen Psychotherapie geworden. Alles Konzepte, die aus religiösen oder spirituellen Traditionen stammen. Buße, im Zusammenhang mit Psychologie oder Psychotherapie ist kaum vorstellbar. Sigmund Freud hat über Buße geschrieben, als Wiedergutmachung gegenüber den Anforderungen eines strengen Über-Ichs. Wenn das eigene Denken oder Handeln nicht in Übereinstimmungen mit den Vorstellungen des Gewissens ist, dann – so die Idee von Freud – sind wir aufgefordert Buße zu tun. Also eine Wiedergutmachung, um den Anforderungen des Über-Ichs gerecht zu werden.

Eine kurze – nicht repräsentative - Umfrage unter meinen Patienten, hat ergeben, dass die meisten Buße als etwas Negatives sehen. Begriffe wie Schuld, Reue, Rache („… das wirst du mir büßen!“) sind damit verbunden. Ein Patient brachte es auf den Punkt: „Das klingt nicht nach Spaß.“

Eine Wikipedia Recherche führte auch für mich zu einer neuen Erkenntnis. Die religiöse Bedeutung der Buße hat kaum noch Ähnlichkeit mit der alltäglichen Vorstellung. Buße meint die Umkehr des Menschen zu Gott, von dem er sich durch Sünde entfernt hat. Aus psychologischer Perspektive kann ‚Buße tun‘ als eine Form der Therapie betrachtet werden. Hier soll eine gestörte Beziehung geheilt werden. In der Beziehung zwischen Mensch und Gott ist es zu einer Störung gekommen. Die Therapie besteht in einem Sinneswandel.

In der Alltagspsychologie überwiegt der Gedanke, dass die Menschen nur selten durch Einsicht von ihrem einmal eingeschlagenen Weg abzubringen sind. Es sind offensichtlich Zwangsmaßnamen erforderlich. Es gibt ganze Kataloge mit Bußgeldern. Hier ist geregelt, für welches Vergehen wie viel Buße getan werden muss. Das Bußgeld reguliert nicht die Beziehung zwischen Mensch und Gott, sondern zwischen Individuum und Gesellschaft. Inzwischen sollte jeder wissen, dass das Schreiben einer SMS während des Autofahrens brandgefährlich ist. Die Anzahl der Verletzen und Toten, die diese Unachtsamkeit fordert, steigt weiterhin. Das Bußgeld, oder eine angedrohte Strafe, scheint nur wenig Einfluss auf das Verhalten zu haben. Von Verkehrspsychologen gibt es schon lange den Vorschlag, dass gesamte Konzept zu ändern. Es wäre effektiver, die Menschen für ein Verhalten zu belohnen, dass der Gemeinschaft hilft, anstatt immer neue Bußgeldkataloge zu schreiben, um egoistisches Verhalten einzudämmen.

Bis zur Zeit der Aufklärung gab der Glaube Orientierung. Der innere Kompass war darauf ausgerichtet, ein gottgefälliges Leben zu führen. Dies hat sich grundlegend geändert. Der Bezugspunkt ist heute ein anderer. Nicht mehr Gott, sondern ein meist hungriges Ego gibt nun die Richtung vor. Kaum jemand konnte das so überzeugend besingen wie Edith Piaf in: “Non, je ne regret rien.“ Sinngemäß heißt es dort: „Nicht das Gute nicht das Schlechte … all das ist mir egal.“ Wenn alles egal ist, oder wenn es, wie die Werbung uns suggeriert, ein Leben „ohne Limit“ möglich ist, was sind dann die Bezugspunkte? Wie orientieren wir uns in einer komplexen Welt?

Meine erste therapeutische Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten liegt fast 30 Jahre zurück. Damals hatte ich Patienten, die an eng umrissenen Krankheiten litten. Der Schwerpunkt der Verhaltenstherapie lag in der Behandlung von Phobien. Ängste und Panikattacken, die sich in bestimmten Situationen zeigten. Prüfungsängste, Ängste vor Hunden oder Krankheiten.

Das Leiden der Menschen, die ich heute sehe ist diffuser. Manchmal scheint es, als würden sie unter dem Leben leiden. Als hätte sie die Orientierung verloren. Das stellt auch die Psychotherapie vor neue Aufgaben. Aktuell zieht in die Psychotherapie das Konzept der Achtsamkeit ein.

Einer meiner Lieblingstexte dazu stammt von dem persischen Mystiker Rumi. Dort heißt es:

„Das Gestern ist nichts als ein Traum
und das Morgen nur eine Vision.

Das Heute jedoch, recht gelebt,
macht jedes Gestern
zu einem Traum voller Glück
und jedes Morgen
zu einer Vision voller Hoffnung.

Darum achte gut auf diesen Tag.“

Heute spreche ich mit Patienten sehr viel häufiger über existenzielle Fragen. „Was gibt meinem Leben Grund und Richtung?“ Besonders in Zeiten persönlicher Krisen. Der Verlust des Arbeitsplatzes, eine Trennung, Krankheit, Alter, Tod.

Persönlich habe ich große Hoffnung, dass ein achtsam geführtes Leben helfen kann, einen guten Kurs zu wählen. Achtsamkeit im Umgang mit der Welt, den Mitmenschen und uns Selbst, ist vielleicht der psychotherapeutische Gegenentwurf zur Buße. Aus psychologischer Sicht verfolgen Buße und Achtsamkeit das gleiche Ziel. Sie versorgen unseren inneren Navi mit Daten, damit wir nicht vom Kurs abkommen.

Achtsamkeit in der Partnerschaft bedeutet, dass dem Gemeinsamen ein höherer Wert gegeben wird als dem Individuellen. In psychotherapeutischen Paargesprächen wiederholt sich häufig ein bestimmtes Muster. Die Unzufriedenheit oder Kränkung eines Partners führt dazu, dass das Paar Hilfe sucht. Das Gespräch beginnt meist damit, dass die Partner über ihr Verletztsein, ihre Enttäuschung oder ihre Wut sprechen. Hier fällt auch schon einmal ein Satz wie: „Das soll er / sie mir büßen!“ Im Verlauf des Gesprächs fasse ich irgendwann die aufgezählten Mängel zusammen und stelle dann einen leeren Stuhl in den Raum. Der Stuhl symbolisiert die Ehe, das Wir. Dann frage ich:“ Nehmen wir an ihre Ehe hätte die ganze Zeit hier gesessen und Ihnen zugehört, was würde sie dazu sagen?“. Meist ernte ich einen irritierten Blick, gefolgt von der Erkenntnis, dass der eigenen Schmerz, Kummer oder Zorn, dazu geführt hat, gegenüber dem Wir unachtsam zu werden. Das Paar kann dann neu entscheiden, was den Kurs bestimmt, dass Ich oder das Wir. Wenn ein Paar gemeinsam eine Entscheidung für das Wir fällt, hat es einen Orientierungspunkt gefunden und die Partner können sich gegenseitig helfen den Kurs zu halten. Dann erübrigt sich das ‚Buße tun‘.

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